Recht, Moral & Denunziantentum

27.04.2020

Kaum einen Beitrag liest man derzeit im Internet und insbesondere in den sozialen Netzwerken, in dem es nicht in irgendeiner Weise um Corona geht. Viele Fragen danach, was erlaubt und was verboten ist. Aber leider erleben wir dieser Tage gerade auch extrem hitzig geführte Diskussionen über moralische Fragen. Und - zum Ärger vieler Menschen - erleben wir gerade auch wieder eine ganz neue Art des Denunziantentums. Alles das erhitzt die Gemüter und macht das virtuelle Miteinander in dieser angespannten Situation nicht unbedingt harmonischer. Ich würde mir wünschen, wenn wir alle bei den Diskussionen um Recht und Moral eine etwas unaufgeregtere Herangehensweise fänden. Aus diesem Grunde, möchte ich in diesem Beitrag einmal versuchen, die Grenzen von Recht und Moral aufzuzeigen:  

 

Recht (bezieht sich teilweise nur auf NRW, Abweichungen in anderen Ländern möglich)

Was ist rechtens? Das ist eigentlich eine einfache Frage, zumindest für Juristen. Recht ist alles das, was in irgendeinem Gesetz, einer Verordnung, einer Richtlinie oder einer Allgemeinverfügung verbindlich niedergeschrieben steht. Was also ist in NRW rechtens im Zusammenhang mit Corona derzeit? 

Ausgangssperre vs Kontaktverbot

Wir haben KEINE Ausgangssperre, wie das vielfach behauptet wird, sondern NUR ein Kontaktverbot. Dieses Kontaktverbot bezieht sich aber nur auf den öffentlichen Raum. Im öffentlichen Raum dürfen sich nur 2 haushaltsfremde Personen zusammen aufhalten. Zudem ist es nicht erlaubt mitgebrachte Speisen während des Verweilens zu verzehren. Ich darf also - soweit Eisdielen geöffnet haben - ein Eis kaufen und im Gehen verspeisen. Ich darf auch unterwegs essen und trinken. Sobald ich mich aber niederlasse um zu verweilen - ab welchem Zeitraum man von Verweilen spricht, ist sicherlich Definitionssache - handelt es sich um ein Picknick, welches derzeit verboten ist. 

In einem Auto dürfen - bis auf berufliche Ausnahmen - auch nur maximal 2 haushaltsfremde Menschen miteinander fahren. Eine Familie, die unter einem Dach lebt, darf selbstverständlich auch komplett in einem Auto unterwegs sein, unabhängig wie groß die Familie ist, abhängig aber natürlich von der Größe des Pkw. 

Maskenpflicht

Seit dem 27.04.20 gibt es zudem eine Maskenpflicht. Auch da ist das Gesetz sehr eindeutig. Masken müssen - bis auf wenige Ausmahmen - verpflichtend getragen werden in Geschäften und in öffentlichen Verkehrsmitteln. Verboten sind Masken demhingegen - ebenfalls bis auf ganz wenige Ausnahmen - beim Autofahren. Wird man im Auto als Fahrer mit einer Maske erwischt, dann kostet das mindestens 60 € und beschehrt uns einen Punkt in Flensburg. 

Versammlungen - Zusammenkünfte - Partys 

Ein ganz hitzig diskutierter Punkt ist auch das erlaubte Verhalten im privaten Raum. Versammlungen und Veranstaltungen sind auch im privaten Raum derzeit verboten. Also die große Geburtstagsfeier oder Hochzeitsfeier sollten Sie derzeit besser nicht im eigenen Haus oder Garten veranstalten. Das kann teuer werden. Erlaubt sind jedoch ausdrücklich sog. "Zusammenkünfte", in einigen Bundesländern zwar beschränkt auf bis zu 5 Personen, in anderen Ländern unbeschränkt. In NRW gibt es keine Beschränkung auf eine Personenzahl. Damit kann nur die Unterscheidung zwischen Veranstaltung und Zusammenkunft herangezogen werden, um zwischen erlaubt und verboten zu unterscheiden. Die für andere Länder geltende Zahl von 5 Personen ist dabei sicherlich ein guter Anhaltspunkt, aber eben auch nicht verbindliche Größenordnung. Setzt eine Veranstaltung regelmäßig einen Veranstalter und ein planvolles Organisieren voraus, ist eine Zusammenkuft eher etwas Spontanes ohne Organisation und Planung. Wenn ich also zu meinem Geburtstag 20 Freunde zu einer Grillparty einlade, dann darf man wohl von einer Veranstaltung ausgehen. Treffen sich aber 3 Familien mit Kindern am Nachmittag im privaten Garten zum Kartenspielen, so ist das wohl eher als Zusammenkuft anzusehen. Das bedeutet, dass ich sehr wohl Freunde besuchen darf, mit den Nachbarn grillen darf oder Freunden bei ihrem Umzug, Bau oder Renovierungsarbeiten helfen darf. 

Eine sehr schöne Liste mit dem, was erlaubt oder verboten ist, hat die Verbraucherzentrale veröffentlicht: 

https://bit.ly/2YgAtZn

Moral

Ein erheblich schwierigeres Thema ist die Frage von Moral. Gibt es bei den o.g. rechtlichen Regelungen nur wenig zu diskutieren, so kann man in moralischen Fragen selbstverständlich sehr unterschiedlicher Meinung sein. Und das spannende daran ist, es gibt im Grunde kein Richtig oder Falsch. Selbstverständlich empfinde ich - so wie die meisten Menschen - meine Moralvorstellung als richtig und abweichende Moralvorstellungen als falsch. Aber natürlich weiß ich, dass das Blödsinn ist. Was für den einen moralisch völlig verwerflich ist, ist für den anderen alltäglich. Moral hat etwas damit zu tun, wie wir aufgewachsen und sozialisiert sind, damit, welche Werte uns vermttelt wurden und welche nicht. Und deswegen lässt es sich zu diesem Thema auch so hervorragend streiten. 

Nehmen wir ein einfaches Beispiel: 

Wenn ich des Nachts einer roten Fussgängerampel begegne, an der kein Verkehr herrscht, dann warte ich nicht auf grün. Verboten, selbstverständlich, da wird mir niemand widersprechen. Und sollte mich der aufmerksame Wachmeister dabei erwischen, so würde ich wohl ohne Murren die verdiente Strafe zahlen (müssen). Aber was ist mit der Moral? Was denken Sie? Ach? Sie würden genauso handeln? Dann sind unsere Moralvorstellungen bei dieser Frage wohl nicht so ganz weit auseinander. 

Nun polarisiert eine rote Fussgängerampel auch nicht ganz so sehr, wie das Thema Corona. Insbesondere bei der Bewertung von Schutzmaßnahmen, bei dem Verhalten anderer Menschen und vor Allem auch bei der Abwägung zwischen Leben und wirtschaftlichen Interessen polarisiert das Thema Corona die Menschen auf eine kaum gekannte Art und Weise. Und wenn Menschen dann auf andere moralische Werte stoßen als die eigenen, dann wird schnell unsachlich argumentiert, oder versucht, die eigenen Meinung anhand eines (vermeintlichen) Gesetzes zu verteidigen. Und oft wird dabei eben einfach nicht sauber zwischen Recht und Moral getrennt. Wenn ich jeden Tag 4 Leute zu Besuch habe, sogar wenn ich jeden Tag andere 4 Leute zu Besuch habe, dann ist das rechtlich OK. Moralisch kann man das aber ganz anders sehen. Natürlich gefährde ich damit mich und andere und es ist sicherlich unvernünftig, so jedenfalls sehe ich das. Aber das ist ja nunmal nur MEINE Moralvorstellung. Also, auch wenn mir das schwer fällt, ich muss akzeptieren, dass andere Menschen dieses erlaubte Verhalten an den Tag legen. Es ist erlaubt. Es ist aber eben moralisch umstritten. 

Wenn eine Frauenclique gehobenen Alters beschließt, jeden Abend in 2er-Gruppen spazieren zu gehen und aus Gründen der Abwechslung die Paarung täglich wechselt, dann stellen sich mir die Nackenhaare auf bei dem Gedanken. Aber, was soll ich tun, es ist eben erlaubt. Und mit welchem Recht könnte ich daherkommen und meine Moralvorstellungen über die Moralvorstellungen der betreffenden Personen stellen?

Und wenn ich am Wochenende mit meinem Mann eine Radtour mache, dann sind unsere Gepäcktaschen prall gefüllt mit Wein und Leckereien. Und diese werden vertilgt, einsam und allein auf einer großen Decke im Wald sitzend mit traumhafter Aussicht. Au weia, das ist aber verboten. Ja, weiß ich. Aber - Sie erinnern sich, ich gehe auch des Nachts bei rot über die Ampel - über dieses Gesetz setze ich mich in schöner Regelmäßigkeit hinweg. Warum ich das tue? Ganz einfach, weil ich weiß, dass ich so dermaßen ländlich lebe, dass ich ohnehin mit meinem Mann im Wald alleine sein werde und ich mit meinem Verhalten weder jemaden gefährde noch jemanden zur Nachahmung animiere. Und deswegen setze ich mich über dieses Verbot hinweg. Moralisch finde ich persönlich das nicht besonders verwerflich. Aber ich wette, es finden sich ein paar Menschen, die an der Stelle anders denken und mich nur allzugerne anschwärzen würden. Warum? Ganz einfach, weil es hier wieder um eine Moralvorstellung geht, die eben einfach unterschiedlich sein kann und darf.

Wenn ich nun das Verhalten der o.g. Damenclique die jeden Abend in wechselnder Paarung spazieren gehen und mein verbotswidriges Picknick miteinander vergleiche, dann komme ich sogar dazu, dass ich persönlich das erlaubte Verhalten der Damenrunde als erheblich moralisch verwerflicher empfinde als mein eigenes illegales Picknick. Schon spannend mit der Moral. Bei dem einen Beispiel mag man sagen, "es ist doch nicht so schlimm" und das Gegenüber könnte damit kontern, " aber es ist doch verboten". Bei dem anderen Beispiel wäre es genau andersherum, man könnte sagen, "das mit dem wechselnden Spazierengehen geht doch gar nicht", aber die Damenrunde könnte richtigerweise damit kontern " aber es ist doch erlaubt". Und so wird die Moral auf der einen Seite als Rechtfertigung, auf der anderen Seite aber auch als Unterlassungsargument herangezogen, je nachdem, wofür wir die gute alte Moral gerade brauchen. Und dessen sollte man sich einfach immer bewusst sein. Moral ist ein gutes Instrument, eine Richtschnur für jeden Einzelnen und sein eigenes Verhalten. Es ist gut, dass es sie gibt. Aber sie ist eben auch sehr individuell und wird bei polarisierenden Themen gerne manipulativ eingesetzt. Und dann verkommt die gute alte Moral leider zu einem fiesen Totschlagargument. Daher wäre mein Wunsch, dass wir gut überlegen, ob wir gerade über Recht oder Unrecht reden oder vielleicht über Moral oder Unmoral. Ist Zweiteres der Fall sollten wir immer im Hinterkopf behalten "Mein Richtig, ist nicht Dein Richtig!. 

Denunziantentum

Die für mich spannendste Frage an der Geschichte ist allerdings die, warum in unserem Land einhergehend mit der Debatte über Recht und Moral das Denunziantentum in den letzten Wochen so extrem zugenommen hat. Klar, es gab sie schon immer, die Menschen, die einen für das Überqueren einer roten Ampel am Liebsten im Bau sehen würde, genauso wie die allseits beliebten (Achtung Ironie) Verkehrserzieher auf der Autobahn, aber gerade in den letzten Wochen hat dieses Phänomen doch ganz erheblich zugenommen. Woran also liegt das? Warum kümmern wir uns nicht um uns und unsere Liebsten? Warum fokussieren wir uns nicht auf unser eigenes Tun? Warum fällt es uns so schwer, den Nachbar eben einfach mit 10 Leuten Grillen zu lassen oder die 5 spielenden Kinder auf der Wiese zu ignorieren? Solange sich der Großteil der Bevölkerung an die Regeln hält, wird das so klappen mit der Eindämmung, da bin ich mir sicher. Ein paar Rebellen wird das System verkraften. Dennoch registriert die Polizei landauf, landab eine drastisch gestiegene Anzeigebereitschaft. 

Psychologen und Soziologen erklären dieses Phänomen gut nachvollziehbar mit dem Kontrollverlust durch das Corona-Virus. 

Eine tolle Zusammenfassung finden Sie u.a. in "Der Tagesspiegel":

https://bit.ly/3cQ868g

Danach macht viele von uns - abhängig von der jeweiligen Persönlichkeitsstruktur - die derzeitige Situation hilflos. Wir dürfen unseren Gewohnheiten nicht mehr nachgehen, niemand weiß wie lange. Unser Privatleben ändert sich drastisch und ein Ende ist nicht in Sicht. Viele haben mit finanziellen Einbußen zu kämpfen oder haben gar ihren Job verloren. Da kann schnell das Gefühl von Kontrollverlust übermächtig werden und unser Handeln beeinflussen. Aus dieser Angst vor Kontrollverlust entwickelt der Mensch unterschiedliche Mechanismen. Manche hamstern - wie wir alle eindrücklich in den letzten Wochen erlebt haben - sinnlos Lebensmittel, manche verfallen in Depression, was in der derzeitigen Situation sehr dramatisch ist. Und wieder andere verfallen in Aktionismus, was tatsächlich sehr produktiv sein kann. Aber dann gibt es auch die, die aus der Angst heraus zu Denunzianten werden, weil sie damit die Chance bekommen, sich mit dem vermeintlich "Mächtigen", in diesem Falle dem Staat, zu verbünden. Nachdem ich das verstanden habe, fällt es mir nicht mehr ganz so schwer, zu verstehen, was die Denunzianten antreibt, auch wenn ich persönlich dieses Verhalten noch nie mochte. So oder so, ein spannendes Thema, das sicherlich Stoff liefern könnte für viele angeregte Diskussionen.