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Pflegefamilien und Erziehungsstellen unter der Lupe - Angestellt oder Selbstständig

Professionelle Erziehungsstellen – für Kinder aus nicht tragbaren Familienverhältnissen der leiblichen Eltern oft der einzige Ausweg – ermöglichen diesen Kindern in einer familiären Struktur aufzuwachsen statt schlimmstenfalls in einem Kinderheim. Dabei werden diesen Erziehungsstellen oft unangemessene rechtliche Steine in den Weg gelegt, die für die betroffenen Familien mit einem extremen finanziellen Risiko verbunden sind. Und Rechtssicherheit ist nicht in Sicht.

Immer wieder kommt es in der Praxis arbeitsrechtlich ausgerichteter Anwaltskanzleien zu Rechtsstreitigkeiten um die Einordnung von professionellen Pflegefamilien, den sog. Erziehungsstellen, als Arbeitsverhältnis oder als freies Dienstverhältnis. 

Veröffentlicht in NZA-RR, 2022, 8 (Beck Verlag)

Lesen Sie hier den kompletten Aufsatz:

I. Die Praxis der Pflegefamilien / Erziehungsstellen

In der Regel sind Erziehungsstellen so aufgebaut, dass das Jugendamt oder die leiblichen Eltern eines Kindes sorgeberechtigt bleiben für die betroffenen Pflegekinder, die aus den verschiedensten Gründen nicht in ihren leiblichen Familien aufwachsen können, die Jugendämter aber über den Aufenthalt dieser Kinder entscheiden. Die Jugendämter schließen zur Erfüllung der Betreuungsaufgabe Verträge ab mit den verschiedenen Trägern der Jugendhilfe. Diese Träger der Jugendhilfe, zumeist organisiert in der Rechtsform des gemeinnützigen Vereins, erhalten von den Jugendämtern für jedes betreute Kind eine Betreuungspauschale.

Die Träger der Jugendhilfe schließen dann wiederrum Verträge ab mit den jeweiligen Erziehungsstellen, also den professionellen Pflegefamilien. Und genau diese Verträge sind es, die oft sehr umstritten sind und daher im Folgenden genauer unter die Lupe genommen werden sollen. 

In der Praxis sind einer Vollzeit-Pflegefamilie zumeist zwei zu betreuende Kinder zugeordnet. Diese Kinder leben komplett integriert in der Familie der Pflegefamilie, wenn diese eigenen Kinder hat, quasi zusammen mit den „Geschwisterkindern“. Die Pflegekinder verbringen in der Regel Feiertage und Urlaube mit ihren Pflegefamilien und sind auch im Alltag so integriert in die Familie, wie in „echten“ Familien. Einziger Unterschied ist die Fachlichkeit der betreuenden Person. Diese sind in der Regel Erzieher, Sozialpädagogen oder Sozialarbeiter, was seitens des Jugendamtes auch Voraussetzung ist. Die Träger der Jugendhilfe nehmen - aufgrund der vertraglichen Verpflichtung durch das Jugendamt - die Fachaufsicht über die betreuenden Personen wahr. In diesem Zusammenhang finden regelmäßig Fachgespräche, sogenannte Hilfeplangespräche, statt und die Ergebnisse werden umfassend dokumentiert. 

II. Mögliche Vertragsgestaltung

Das Vertragsverhältnis zwischen dem Träger der Jugendhilfe und der Erziehungsstelle kann nun auf zwei unterschiedliche Arten ausgestaltet sein, die in der Praxis vermutlich annähernd hälftig vorkommen. 

1. Arbeitsvertrag

Es gibt die Möglichkeit, mit dem Träger der Jugendhilfe als Arbeitgeber einen klassischen Arbeitsvertrag mit allen seinen Schutzrechten und Konsequenzen abzuschließen. In diesen Fällen führt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer als Angestellten und entrichtet entsprechende Steuern und Sozialabgaben. Dem Arbeitnehmer wird ein Gehalt ausgezahlt, welches in der Regel weit unter der - vom Jugendamt an der Träger der Jugendhilfe gezahlten - Pauschale liegt. Dies ist vermutlich der einzige nachvollziehbare Grund, warum sich einige Träger der Jugendhilfe überhaupt auf dieses – für sie ansonsten eher nachteilige - Vertragsmodel einlassen. 

2. Freies Dienstverhältnis

Daneben kann aber auch die Ausgestaltung als freies Dienstverhältnis gewählt werden. Das von der Erziehungsstelle dann bei dem Träger der Jugendhilfe abgerechnete Honorar liegt in der Regel erheblich höher als das Gehalt im Arbeitsverhältnis, da die Ausgestaltung der Höhe dabei die eigenen Versicherungs- und Steuerpflichten der selbstständig tätigen Erziehungsstelle berücksichtigt. Sämtliche Arbeitsschutzrechte kommen diesen Pädagogen damit nicht zugute. 

Nicht immer ergibt sich aus den abgeschlossenen Verträgen genau, welche Variante die Vertragsschließenden gewollt haben. Oft weicht auch das gelebte Vertragsverhältnis von dem verschriftlichten Vertragsverhältnis ab. 

III. Streitmöglichkeiten

Zum Streit um die Einordnung des Arbeitsverhältnisses kommt es in den meisten Fällen erst dann, wenn die Vertragsparteien ohnehin in Streit geraten sind. Oft sind es an dieser Stelle sogar wir Anwälte, die den Streitparteien die Möglichkeit dieses „Nebenkriegsschauplatzes“ überhaupt erst offerieren. 

1. Anstoß durch den Träger der Jugendhilfe

Ist das Arbeitsverhältnis vom Wortlaut her als Arbeitsvertrag ausgestaltet und wird auch so gelebt, dann kommt es zumeist dann zum Streit über den Status des Vertragsverhältnisses, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen oder gesetzlichen Schutzrechte gegenüber dem Arbeitgeber in Anspruch nimmt. Zu nennen sei hier in erster Linie die Kündigung durch den Arbeitgeber, auf die seitens vieler gekündigter - und damit zumeist gekränkter - Arbeitnehmer reflexartig mit einer Kündigungsschutzklage reagiert wird, in der Hoffnung auf Genugtuung seitens des Gerichts in Form der Abfindung. Daneben sind aber auch Ansprüche auf Mutterschutz, auf Urlaub bzw. Urlaubsabgeltung für nicht gewährten Urlaub, auf Lohnfortzahlung oder ähnlicher Schutzrechte teilweise die Auslöser für die leidige Statusfrage. Denn wenn der in Anspruch genommene Arbeitgeber ein Gericht davon überzeugt, dass der Arbeitnehmer eigentlich gar kein Arbeitnehmer, sondern selbstständiger Unternehmer sei, dann entfallen an dieser Stelle sämtliche Schutzrechte und der Arbeitgeber spart unter Umständen einen Batzen Geld. 

2. Anstoß durch die Erziehungsstelle

Umgekehrt bricht der Streit um den Status des Vertragsverhältnisses auch gerne dann aus, wenn der Inhaber der selbstständigen Erziehungsstelle, die vertraglich als solche auch vereinbart war und so gelebt wird, feststellt, dass eine Selbstständigkeit mit gewissen Risiken und Unwägbarkeiten verbunden ist, über die man im Detail so zuvor vielleicht noch gar nicht nachgedacht hatte. Spätestens der dann hinzugezogene Anwalt wird – weil es genau seine Aufgabe ist, die Parteiinteressen seiner Mandanten bestmöglich zu vertreten – bei dem desillusionierten Unternehmer nur zu gerne die Begehrlichkeit nach den umfassenden Arbeitsschutzgesetzen wecken. Auch in dieser Konstellation ist die Kündigung des Vertrages, die mit einer selbstständigen Erziehungsstelle sehr viel unproblematischer möglich ist als im Angestelltenverhältnis, oft Auslöser für die Erziehungsstelle, über eine Umwidmung des Vertrages hin zu einem Arbeitsvertrag nachzudenken, um in den Genuss von Kündigungsschutz zu kommen. 

In den wohl seltensten Fällen kommen die Vertragsparteien anlasslos auf die Idee, den Status des abgeschlossenen Vertrages grundsätzlich klären zu wollen.

IV. Unterscheidung nach klassischem Arbeitnehmerbegriff

Eher komplex als einfach ist in den o.g. Streitfällen die rechtliche Einordnung der genannten Vertragsverhältnisse, was in der Natur der praktischen Ausgestaltung von Pflegestellen liegt. 

Nach dem klassischen Arbeitnehmerbegriff, der bereits vom Reichsarbeitsgericht und heute vom Bundesarbeitsgericht sowie der herrschenden Lehre vertreten wird, ist das ausschlaggebende Kriterium die persönliche Abhängigkeit. Arbeitnehmer ist demnach, wer auf Grund eines privatrechtlichen Vertrages über entgeltliche Dienste für einen anderen in persönlicher Abhängigkeit tätig ist.

Nach Wank (Wank Arbeitnehmer und Selbstständige, 1988; ders. DB 1992, 90) und dem Streit um die Scheinselbstständigkeit ist ein Arbeitnehmer aber nicht nur durch Weisungsabhängigkeit gekennzeichnet, sondern in erster Linie auch durch auf Dauer angelegte Arbeit für einen Auftraggeber in eigener Person ohne Mitarbeiter und im Wesentlichen ohne eigenes Kapital und ohne eigene Organisation. Selbstständigkeit soll somit vorliegen bei freiwilliger Übernahme von Unternehmerrisiko, Auftreten am Markt und Ausgewogenheit im Hinblick auf unternehmerische Chancen und Risiken. 

Für die Bestimmung der Arbeitnehmereigenschaft werden insgesamt regelmäßig zahlreiche Einzelmerkmale verwendet, die zur Feststellung der persönlichen Abhängigkeit herangezogen werden: 

1. Wirtschaftliche Abhängigkeit

Von einer wirtschaftlichen Abhängigkeit, die regelmäßig für ein Angestelltenverhältnis spricht, ist auszugehen, wenn ein Mitarbeiter seine gesamte Arbeitskraft in den Dienst des Arbeitgebers stellt und das Gehalt dieses Arbeitgebers dabei auch die wesentliche Einnahmequelle darstellt. 

Die meisten Erziehungsstellen haben zwei Pflegekinder in ihrer Obhut, was in den meisten Bundesländern dann einer Vollzeitstelle in Umfang und Gehalt entspricht. In Ausnahmefällen ist der Betreuungsschlüssel auch derartig luxuriös, dass sogar nur ein Pflegekind mit einer Vollzeitstelle beschrieben wird. Dabei handelt es sich dann aber zumeist um sehr betreuungsintensive Pflegekinder. In vielen Arbeitsverträgen ist eine Nebentätigkeit sogar als genehmigungspflichtig festgeschrieben. Selbst in den Pflegestellen, in denen nur ein Pflegekind untergebracht ist und die Stelle als Teilzeitstelle normiert ist, ist das Gehalt der Pädagogen an dieser Stelle zumeist das Einzige, da in diesen Fällen regelmäßig noch mehrere leibliche Kinder zusätzlich in der Familie leben, die dadurch wiederrum Haushalt und Erziehung zu einer Vollzeitstelle anwachsen lassen. 

Somit ist in der Regel die wirtschaftliche Abhängigkeit einer Erziehungsstelle von dem Träger der Jugendhilfe wohl gegeben. 

2. Gestaltung des Vertrages

Als weiteres Merkmal zur Klassifizierung des abgeschlossenen Vertrages kann der Vertrag selbst mit allen seinen festgeschriebenen Regelungen zu Rate gezogen werden. 

Ist der Arbeitsvertrag als solcher benannt und enthält auch im Übrigen den Inhalt, den Arbeitsverträge gewöhnlich haben, so ist dies zumindest ein Indiz für eine angestellte Tätigkeit. Ist beispielsweise die wöchentliche Arbeitszeit geregelt, sind Festlegungen für Urlaub getroffen, hat der Arbeitnehmer eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung an einem bestimmten Tag vorzulegen, ist eine Probezeit vereinbart und werden Regelungen zur Kündigung getroffen? Alles das spricht eher für einen Arbeitsvertrag als für ein freies Dienstverhältnis. 

Fehlen derartige Regelungen im Vertrag, so spricht dies eher für ein freies Dienstverhältnis. 

3. Zahlung von Lohnnebenkosten

Ein weiteres Merkmal kann die Zahlung von Lohnnebenkosten sein. Führt der Arbeitgeber Lohnsteuer und Sozialabgaben ab, so spricht dies für eine angestellte Tätigkeit. 

In den Fällen, in denen die Erziehungsstellen selbstständig sind, müssen sich die Sozialarbeiter / Sozialpädagogen eine Steuernummer vom Finanzamt zuteilen lassen und selbstständig eine Krankenversicherung abschließen. Lohnsteuer wird in diesen Fällen nicht vom Träger der Jugendhilfe abgeführt, sondern der Selbstständige erledigt dies eigenverantwortlich über seine Einkommensteuererklärung. 

4. Dauerrechtsverhältnis

Ein Indiz für das jeweilige Vertragsverhältnis ist auch ein einheitliches Dauerrechtsverhältnis, welches über Jahre hinweg so gelebt wird, wie die Parteien es auch ausgestaltet haben und von keiner Seite moniert wurde. 

5. Auftreten am Markt

Hilfreich zur Einordnung des Vertragsverhältnisses ist auch das Auftreten der Erziehungsstelle am Markt. Tritt die Erziehungsstelle in unternehmerischer Weise am Markt auf und geriert sich als selbstständig? Klassische Anhaltspunkte sind hier der eigene Briefbogen, Visitenkarten oder eine eigene Homepage als Erziehungsstelle. Alle diese typischen Marketinginstrumente würde ein freiberuflich tätiger Mensch vorhalten. Fehlen diese, so spricht das für ein Angestelltenverhältnis

In den meisten Fällen sind Erziehungsstellen in diesem Punkt deutlich der angestellten Tätigkeit zuzuordnen. Recherchen dazu im Netz haben nicht eine Homepage einer selbstständigen Erziehungsstelle hervorgebracht. In der Praxis trägt eine Erziehungsstelle in der Regel selbst keinerlei unternehmerisches Risiko oder trifft eigene unternehmerische Entscheidungen. 

6. Fachaufsicht

Pflegestellen unterliegen regelmäßig einer Fachaufsicht. Denn diese Fachaufsicht wird bereits durch das Jugendamt als eine „notwendige Fachaufsicht“ zur Bedingung gemacht. Es handelt sich dabei um eine Pflicht zur Erhaltung der Betriebserlaubnis des Trägers der Jugendhilfe. 

Somit ist eine Fachaufsicht zwingend in jedem Vertragsverhältnis mit einer Erziehungsstelle vorgesehen. Eine solche Fachaufsicht ist jedoch ein klassisches Merkmal der angestellten Tätigkeit. 

7. Weisungsrecht

Spannend ist regelmäßig die Frage des Weisungsrechts. In pädagogischer Hinsicht sollte man – schon aufgrund der Fachaufsicht – von einem Weisungsrecht des Trägers der Jugendhilfe ausgehen.  

Selbstverständlich kann und wird dieses Weisungsrecht aufgrund der Art der Tätigkeit jedoch im Grunde nie ausgeübt in Bezug auf Ort und Zeit, was dem Charakter einer Pflegefamilie immanent ist. Diese Tatsache allein ist rechtlich sicherlich noch nicht problematisch, viele Angestellte sind relativ frei in ihrer Zeiteinteilung. Und in Zeiten von Homeoffice und dezentralem, Arbeiten wird zunehmend auch der Ort der Arbeitsleistung variabler. Dies allein spricht somit noch nicht für ein freies Dienstverhältnis. Schwieriger wird es, wenn – wie vielfach von Seiten des Trägers der Jugendhilfe als stärkstes Argument für ein freies Dienstverhältnis herangezogen – das Arbeitszeitgesetz, das Bundesurlaubsgesetz oder das Entgeltfortzahlungsgesetz ins Spiel gebracht werden.

Da Pflegefamilien für die aufgenommenen Pflegekinder in pädagogischer Hinsicht weitestgehend das klassische Familienleben nachbilden sollen, liegt es in der Natur der Sache, dass Pflegeeltern, analog zu allen anderen Eltern, in der Regel keinen Feierabend haben, keinen Urlaub von Ihren Kindern machen können und auch wenn sie selber krank sind, zumindest eine Notversorgung ihrer Kinder aufrechterhalten. Ein permanenter Verstoß gegen die oben genannten Schutzrechte ist somit in einer Pflegestelle eine Selbstverständlichkeit. 

Verantwortlich handelnde Träger der Jugendhilfe haben selbstverständlich die Möglichkeit, einen Mindestschutz für Ihre Pflegestellen zu gewährleisten. So gibt es durchaus Träger, die dem Urlaubsanspruch ihrer Vertragspartner dadurch gerecht werden, dass sie zu bestimmten Zeiten im Jahr – selbstverständlich immer nach Rücksprache mit der Pflegefamilie – für die Pflegekinder eine anderweitige Unterbringung organisieren. Dies geschieht im Regelfall im Rahmen der Schulferien, indem die Pflegekinder für diese Zeit in Ferienfreizeiten untergebracht werden. 

Für den Fall, dass der Inhaber der Pflegestelle selbst erkrankt, ist es in der Praxis zumeist so, dass der Rest der Pflegefamilie, also zumeist der andere Elternteil, der denknotwendigerweise ohnehin in die Pflege und Erziehung eingebunden ist, die Aufgaben der erkrankten Person notdürftig übernimmt. Ist eine solche vorübergehende Möglichkeit der Übernahme nicht möglich, so hält ein verantwortungsbewusster Träger für diese Fälle entsprechende professionelle Ergänzungskräfte / Entlastungskräfte vor, die in der Familie einspringen können und die Aufgaben der erkrankten Person übernehmen. 

Leider sieht die Praxis eher so aus, dass die Träger der Jugendhilfe tendenziell sparsam veranlagt sind, wenn es die Ausstattung ihrer Erziehungsstellen angeht und großzügiger eher nur sind bei den Gehältern der Vorstände der Träger. Aus diesem Grunde werden vielen Pflegefamilien diese Entlastungsmöglichkeiten gar nicht erst offeriert. 

Nun ist aber die Frage, ob die Tatsache, dass weder das Arbeitszeitgesetz noch das Bundesurlaubsgesetz eingehalten wird, an dieser Stelle automatisch als Indiz für die Klassifizierung des Vertrages als freies Dienstverhältnis gesehen werden kann. Richtigerweise ist hier für die Auslegung der Schutzzweck der Norm heranzuziehen. Normiert wurden die genannten Gesetze als klassische Schutzrechte eines Arbeitnehmers. Würde nun aber die Tatsache, dass eben diese Schutzrechte in einem Vertragsverhältnis nicht eingehalten werden oder gar nicht eingehalten werden können, automatisch zur Abgrenzung von Arbeitsverhältnis zu freiem Dienstverhältnis herangezogen werden, so würde diese Schlussfolgerung den Arbeitnehmer damit doppelt schutzlos stellen und damit die Schutzrechte automatisch ins Gegenteil verkehren. Das würde in überspitzter Darstellung dazu führen, dass ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitgeber Schutzrechte mit Füßen tritt, damit automatisch noch schutzloser würde, indem man die fehlende Einhaltung seiner Schutzrechte als Argument für dessen Selbstständigkeit heranziehen würde. Das kann wohl kaum die Intention des Gesetzgebers gewesen sein.

So entschied auch der Europäische Gerichtshof zu einem ähnlichen Fall aus Rumänien, dass die Pflegeelterntätigkeit vom Anwendungsbereich der Arbeitszeitgestaltungsrichtlinie jedenfalls nicht erfasst wird. Grundsätzlich verweist der EuGH zur Definition der Arbeitnehmereigenschaft zwar auf die jeweils nationalen Auslegungsgrundsätze, prägt jedoch für die Anwendung der Arbeitszeitrichtlinie einen ganz eigenen Arbeitnehmerbegriff. Der EuGH argumentiert an der Stelle ausschließlich mit der denknotwendigen Unvereinbarkeit einer Pflegefamilie mit der Arbeitszeitrichtlinie und kommt somit zu dem Schluss der Nichtanwendbarkeit. Ist also das Arbeitszeitgesetz für Pflegefamilien gar nicht anwendbar, so kann aus der Nichteinhaltung selbiger Vorschriften somit auch nicht ein Rückschluss auf die Verneinung der angestellten Tätigkeit getroffen werden.

Im Ergebnis müssen schließlich alle der oben genannten Punkte beleuchtet werden, um eine eindeutige Klassifizierung des Vertragsverhältnisses vornehmen zu können. Schlägt die Waage an dieser Stelle nicht deutlich zur einen oder anderen Auslegung aus, wird die Einordnung wohl dem sogenannten - und allseits gefürchteten - richterlichen Ermessen zum Opfer fallen. Dass gerade dieser Ausgang in den meisten Fällen das Ergebnis sein würde und damit ein Urteil für beide Parteien regelmäßig ein hohes Risiko darstellt, lässt sich auch aus der Vielzahl der in diesem Bereich abgeschlossenen Vergleiche entnehmen. Dies mag wohl auch der Grund sein, warum es so gut wie keine Rechtsprechung zu diesem Themenkomplex gibt.

V. Beweislast

Die Beweislast im Streit um die Arbeitnehmereigenschaft trifft die Partei, die sich auf eine - vom ursprünglich abgeschlossenen Vertrag - abweichende Auslegung beruft. Derjenige Vertragspartner, der also das gelebte Vertragsverhältnis angreifen und ändern möchte, ist dafür darlegungs- und beweisbelastet. 

VI. Statusfeststellungsverfahren und seine Konsequenzen

Wird nun der Status der Erziehungsstelle nicht im Rahmen eines ohnehin anhängigen (Arbeits-)Rechtsstreits oder im Zusammenhang mit einer Betriebsprüfung festgestellt, so haben dennoch beide Vertragsparteien jederzeit die Möglichkeit, ein Statusfeststellungsverfahren im sog. Anfrageverfahren durchzuführen. Das Verfahren wird gemäß § 7a I Satz 1 SGB IV von der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung (DRV) Bund durchgeführt und ist für alle Träger der gesetzlichen Sozialversicherung bindend. 

Die DRV entscheidet nach schriftlicher Anhörung der Beteiligten und zwingend immer innerhalb von 3 Monaten per Bescheid, in dem sie im Falle der Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit auch darüber entscheidet, ob diese selbstständige Tätigkeit auch der Rentenversicherungspflicht unterliegt. 

Gegen den Bescheid der Rentenversicherung ist nach Durchführung des Widerspruchsverfahrens Klage vor dem Sozialgericht möglich. 

Je nachdem, wie das Verfahren ausgeht, und welcher Status von den Vertragsparteien bis dahin gelebt wurde, hat die Entscheidung weitreichende Konsequenzen.

1. Selbstständigkeit gelebt – Beschäftigungsverhältnis festgestellt

Wurde nun von den Vertragsparteien ein Vertragsverhältnis basierend auf der Annahme einer selbstständigen Erziehungsstelle gelebt, und im Rahmen der Statusfeststellung wird aber ein Beschäftigungsverhältnis festgestellt, so erwachsen daraus für beide Seiten eine ganze Reihe Nachzahlungspflichten. Und wurde das Statusfeststellungsverfahren nicht spätestens einen Monat nach Beginn der Tätigkeit eingeleitet, was wohl in den seltensten Fällen so sein wird, so werden sämtliche Beiträge der letzten 5 Beschäftigungsjahre damit komplett fällig ab Rechtskraft der Entscheidung. In der Praxis bedeutet dies, dass der Arbeitgeber das gezahlte Honorar nachträglich zu verbeitragen hat und zwar den Arbeitgeber- und den Arbeitnehmeranteil und von der Erziehungsstelle mindestens für einen Zeitraum von 3 Monaten die Arbeitnehmeranteile fordern kann. Bei dem vermeintlich selbstständig Tätigen kommt es durch die rückwirkende Sozialversicherung u.U. zu einer Doppelversicherung ohne maßgebliche Vorteile. Widerspruch und Klage des Betroffenen haben jedoch im Anfrageverfahren aufschiebende Wirkung. 

Wird zusätzlich noch festgestellt, dass der Arbeitgeber vorsätzlich gehandelt hat, um durch das Herbeiführen einer Scheinselbstständigkeit Beiträge zu sparen, so drohen neben den Nachzahlungen auch strafrechtliche Konsequenzen. 

2. Beschäftigungsverhältnis gelebt – Selbstständigkeit festgestellt

Wird hingegen im Rahmen des Statusfeststellungsverfahrens festgestellt, dass zwar ein Beschäftigungsverhältnis gelebt wurde, das Vertragsverhältnis jedoch als freies Dienstverhältnis zu qualifizieren ist, dann hat dies ebenfalls massive Auswirkungen. Zunächst einmal entfallen damit sämtliche Schutzrechte (Kündigungsschutz, Mutterschutz, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, u.ä.) des Arbeitsrechts. 

Daneben ist die noch gravierendere Folge jedoch, dass Sozialversicherungsträger die Leistung verweigern können, wenn sich herausgestellt hat, dass keine Sozialversicherungspflicht vorlag. Denn die reine Beitragszahlung begründet in diesen Fällen leider noch keinen Leistungsanspruch. Krankenversicherungen können dementsprechend zu Unrecht erbrachte Leistungen von Versicherungsnehmer sogar zurückfordern. Die zu Unrecht geleisteten Beiträge können jedoch von den Versicherungsnehmern nur für maximal 4 Jahre zurückgefordert werden. Zu Unrecht gezahlte Rentenversicherungsbeiträge können u.U. umgewandelt werden in freiwillige Beiträge. 

VII. Bisherige Rechtsprechung

Bislang gibt es zu diesem Thema noch nicht viel obergerichtliche Rechtsprechung, obwohl die Zeit für ein Grundsatzurteil lange gekommen scheint. Denn die Entscheidungen der arbeitsrechtlichen und sozialrechtlichen Fachgerichte könnten unterschiedlicher nicht sein. Besprochen werden sollen hier jedoch im Folgenden nur wegweisenden Entscheidungen.

Das Urteil des LAG Baden-Württemberg vom 28.1.10 (3 Sa 47/09) stellt für einen Einzelfall fest, dass es sich bei dem dort entschiedenen Fall einer Pflegefamilie um eine selbstständige Tätigkeit handelt. Bei diesem Fall stellte es sich so dar, dass der Arbeitsvertrag als solcher ausgestaltet war und auch Regelungen zu Vergütungsgruppen, Urlaub, Lohnfortzahlungen und ähnliches enthielt. Laut Sachverhaltsdarstellung handelt es sich bei dem gelebten Verhältnis um die klassische Erziehungsstelle, wie oben dargelegt. Es wurde also von dem Träger der Jugendhilfe die Fachaufsicht ausgeübt und regelmäßige Hilfeplangespräche geführt und dokumentiert. Beide Parteien gingen selbstverständlich davon aus, dass es sich um ein angestelltes Arbeitsverhältnis handele. Dennoch hat das LAG Baden-Württemberg das Vertragsverhältnis als freies Dienstverhältnis angesehen. Wörtlich wird diese Entscheidung wie folgt begründet: 

Trotz der Charakterisierung des Vertragsverhältnisses als Arbeitsverhältnis liegt ein solches nicht vor, denn der Kläger hat seine Dienstleistung nicht im Rahmen einer fremdbestimmten Arbeitsorganisation, sondern der von ihm selbstständig betriebenen Erziehungsstelle erbracht. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Vertragsverhältnis hat die Beklagte nicht lediglich auf die Ausübung ihres Weisungsrechts in zentralen Bereichen, insbesondere hinsichtlich der Zeit und Dauer der Tätigkeit, verzichtet. Vielmehr steht die in § 1 des Dienstvertrages zu Grunde gelegte Struktur der Erziehungsstelle, in der die pädagogische Tätigkeit des Klägers zu erbringen war, einer fremdbestimmten Erbringung der geschuldeten Dienstleistung gerade entgegen. Die Betreuungsform der Erziehungsstelle ist gerade durch die Aufnahme und Betreuung der zugewiesenen Pflegekinder in der Familie gekennzeichnet. Dies schließt eine Trennung des privaten Zusammenlebens und einer fremdbestimmten Arbeitsleistung in zeitlicher Hinsicht von vornherein aus und schränkt die Einwirkungsmöglichkeiten des Dienstgebers auf die die Erziehungsstelle prägende Familienstruktur, den vom Kläger zu stellenden Rahmen und dessen erzieherischen und betreuenden Handelns gegenüber den ihm überlassenen Kindern weitestgehend ein.“ 

 

Das LAG argumentiert weiterhin mit der freien zeitlichen Ausgestaltung innerhalb der Erziehungsstelle, mit der Nichteinhaltung des Arbeitszeitgesetzes, mit der Einbeziehung der kompletten Familie in die Betreuung und mit der organisatorischen Einbindung der Arbeit am Wohnort der Arbeitnehmerin ohne Verbindung zu den Räumlichkeiten des Arbeitgebers. Die Fachaufsicht wurde vom LAG als eine reine partnerschaftliche Kooperation ohne jegliche Weisungsrechte eingestuft. 

Ich halte dieses Urteil des LAG für grundlegend falsch und von der ständigen Rechtsprechung des BAG abweichend. In einer vom Kommunalverband für Jugend und Soziales herausgegeben Schrift über die „Grundlagen für die Betriebserlaubnis für Einrichtungen der Heimerziehung in häuslicher Gemeinschaft in Baden-Württemberg“ heißt es wörtlich: „Damit Maßnahmen des Trägers zum Schutz der untergebrachten Kinder und Jugendlichen durchgesetzt werden können, muss die vertragliche Rechtsbeziehung der Fachkraft zum Träger so gestaltet sein, dass ein Weisungsrecht des Trägers besteht.“ Es ist also davon auszugehen, dass schon die Vorgaben der Jugendämter, welche wiederrum an das KJHG (SGB IIX) gebunden sind, von den Trägern der Jugendhilfe verlangen, dass diese sich ein Weisungsrecht vorbehalten. Und dieses Weisungsrecht ist eben ausschließlich über eine arbeitsvertragliche Regelung zu erreichen. Der vom Bundesarbeitsgericht betonte Grundsatz, dass die tatsächliche Durchführung des Vertrages maßgebend ist, wenn der Vertrag abweichend von den ausdrücklich getroffenen Vereinbarungen vollzogen wird (BAG 21.04.2005 - 2 AZR 125/04), gilt nur für solche Fälle, in denen die Parteien ihr Rechtsverhältnis gerade nicht als Arbeitsverhältnis bezeichnet haben, sondern etwa als freies Mitarbeiter- oder Dienstverhältnis. Haben die Parteien dagegen ein Arbeitsverhältnis vereinbart, so ist es nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in aller Regel auch als solches einzuordnen, dies gilt insbesondere dann, wenn das Vertragsverhältnis grundsätzlich sowohl selbstständig als auch angestellt möglich ist. Damit widerspricht das LAG auch in dieser Hinsicht der ständigen Rechtsprechung des BAG. 

Gegen das Urteil des LAG spricht auch ein zeitlich später ergangenes Urteil des Landessozialgerichts, ebenfalls aus Baden-Württemberg (LSG Bade-Württemberg vom 22.04.2015, L 5 R 3908/14), in welchem das LSG in einer Berufungssache gegen eine Entscheidung der Clearingstelle im Rahmen eines Anfrageverfahrens im Statusfeststellungsverfahrens in einem ähnlich gelagerten Fall eine abhängige Beschäftigung mit Versicherungspflicht zu allen Zweigen der Versicherungspflicht festgestellt hat. In dem dort vorliegenden Fall hatten die Parteien sogar ausdrücklich und eindeutig eine selbstständige Tätigkeit normiert und gelebt. Dennoch hat das LSG hier zu Gunsten der angestellten Tätigkeit entscheiden und die Entscheidung mit den o.g. Merkmalen begründet. Leider wurde die gegen diese Entscheidung eingelegte Revision als unzulässig abgewiesen und in der Sache daher nicht entschieden. 

Daneben liegt noch ein Urteil des BAG vom 25.05.2005 (BAG,  5 AZR 347/04) vor, bei dem es sich um eine Außenwohngruppe und nicht um eine Pflegefamilie handelt. Zudem ist im dortigen Fall eben auch gerade explizit eine selbstständige Tätigkeit vereinbart worden und die dortige Klägerin begehrte dennoch nachträglich den Schutz des Arbeitsrechts. Der Fall liegt also gerade andersherum. Hier hat das BAG – meiner Meinung nach zu Recht – ein selbstständiges Dienstverhältnis angenommen. 

IIX. Fazit

Alles in allem kann man sagen, dass derzeit die meisten Pflegefamilien wohl in einem rechtlich ungeklärten Vertragsverhältnis tätig sind. Ein Statusfeststellungsverfahren könnte Sicherheit für jeden Einzelfall bringen, birgt aber immer auch eine Gefahr für die jeweils Beteiligten. Abhilfe dieser Rechtsunsicherheit kann vorliegend nur eine bundeseinheitliche Grundsatzentscheidung schaffen, die meiner Meinung nach lange überfällig ist. Solange jedoch alle Beteiligte eine solche Grundsatzentscheidung zu Recht eher fürchten als wünschen, da sie eben immer auch die eigene Situation deutlich verschlechtern könnte, werden wohl in diesem Bereich weiterhin Vergleiche abgeschlossen und Erziehungsstellen in Rechtsunsicherheit belassen. 

 

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